Die rettende Kraft von Einfühlung und Phantasie

Robert Fleck: Kunst und Ökologie, Wien / Hamburg: Edition Konturen, 2023, ISBN: 978-3-902968-87-6, 183 Seiten, 34,00 €

Rezension von Markus Henning

Auch im globalen Norden ist die Selbstgewissheit längst erschüttert. Die menschengemachte Klimakatastrophe und ihre sozial-ökologischen Krisensymptome brechen in den Alltag ein, lassen sich immer weniger in Zeit und Raum auslagern. Zu sehr stehen die Produktions- und Konsummuster des Kapitalismus im Dauerkonflikt mit den biophysischen Lebensgrundlagen. Und zu sehr ist die industrielle Zivilisation verwoben mit patriarchalen, rassistischen und kolonialen Herrschaftsverhältnissen.

Durch Delegation an politische Entscheidungsträger lässt sich Zukunftsfähigkeit nicht gewinnen. Sie umfasst weit mehr als äußere Strukturreformen. Sie setzt einen lebensweltlich grundierten Mentalitätswandel voraus, eine Abkehr von tief verankerten Selbstverständlichkeiten und eine völlig neue Verbundenheit mit der Natur.

Der ästhetischen Dimension kommt hierbei Bedeutung zu. Über sie lassen sich Möglichkeitsfenster aufstoßen. Das ist die These von Robert Fleck (geb. 1957). Als renommierter Ausstellungsmacher, Museumsintendant, Professor für Kunst und Öffentlichkeit in Düsseldorf weiß er, wovon er spricht.

Bei der Edition Konturen hat Fleck jetzt das Buch Kunst und Ökologie veröffentlicht. Begleitet von einer umfassenden Bilddokumentation entschlüsselt er darin Malerei, Skulptur, Fotografie und Video als „[…] Spezialdisziplinen in der Erfindung neuer Naturverhältnisse“ (S. 12). Er fördert untergründige Traditionslinien und ihre Ambivalenzen zu Tage. Er rückt bislang Randständiges in neues Licht und lässt uns quasi „live“ an aktuellsten Entwicklungen teilhaben.

Dadurch nimmt vor unseren Augen ein Potential Gestalt an, das bildender Kunst in ihren besten Momenten zuwächst: Tiefergehend als über sprachliche Mittel kann sie Menschen durch sinnliche Anschauung für eine Partnerschaft mit dem Planeten sensibilisieren und den Horizont für Transformationen öffnen.

1) Spurensuche. Die künstlerischen Gegenprogramme zu Wirtschaftsexpansion und Industrialismus lassen sich als Abfolge spezifischer Naturbezüge ausloten. Da ist die Romantik des frühen 19. Jahrhunderts mit ihrer geradezu mystischen Versenkung in neu entdeckte Umwelten. Parallel begreifen sich die Anfänge der Fotografie als „Selbstaufzeichnung der Natur“ (S. 51). Da ist der französische Anarchist Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865). Seine materialistische Philosophie prägt den Realismus von Gustave Courbet (1819-1877). Dieser wiederum wird zum Wegbereiter des Impressionismus, der in seiner Landschaftsmalerei die letzten Flächen rund um Paris festhält, die noch nicht von Fabriken usurpiert sind. Dynamisierend gelangt die Generation der Postimpressionisten bis an die Grenzen der Zentralperspektive, die seit der Renaissance jeden künstlerischen Zugang zur Außenwelt geprägt hat. Von den wichtigsten Bewegungen im frühen 20. Jahrhundert wird sie dann vollends aufgelöst, was den Naturbegriff durch innovative Bildprinzipien revolutioniert. Diesbezüglich sind hervorzuheben: Kubismus, Konstruktivismus und abstrakte Malerei, die Synthese all dessen bei Gabriele Münter (1877-1962), die poetische Zeichensprache von Paul Klee (1879-1940), vor allem aber das visionäre Vokabular des Surrealismus. „Was in der surrealistischen Malerei der Landschaft ständig mitschwingt, ist zugleich die Verletzlichkeit dieser Systeme, die aus fragilen Gleichgewichten von Kräften bestehen. Auch in dieser Hinsicht ist der Surrealismus weiterhin ein interessantes Feld in aktuellen Fragen zu Kunst und Ökologie“ (S. 56).

Straßenszene in Wetzlar (Juli 2021); Foto: Henning-Hellmich

2) Dialektik. Seit den 1960er Jahren werden unberührte Biotope neu entdeckt, und zwar nicht allein als Utopie und Anschauungsobjekt, sondern als zu gestaltendes Material. So kunsthistorisch bedeutsam ein solcher Zugang als ökologische Geste ist, so übergriffig ist die in ihm angelegte Re-Technisierung. Gepusht vom mittlerweile hochkapitalisierten Kunstmarkt werden skulpturale Arbeiten in Landschaften gefräst, Gewässer mit Installationen bedeckt, Wüsten im großen Stil umgeformt, Mikroklimata verändert – und oft für lange Zeit geschädigt. Gravitationszentrum dieser Konjunktur ist die nordamerikanische Land Art-Bewegung. Verbunden ist sie mit Namen wie Nancy Holt (1938-2014), James Turrell (geb. 1943), Christo (1935-2020) und Jeanne-Claude (1935-2009). Auch der ZERO-Künstler Heinz Mack (geb. 1931) gehört mit seinem Sahara-Projekt zum Themenkreis. „Die Land Art bleibt die prägnanteste Sensibilisierung für Umwelt und Raum zu Beginn des ökologischen Zeitalters. Zugleich ist sie auch die flächenmäßig größte Umweltzerstörung, die von bildenden Künstlern seit Menschengedenken ausgeführt wurde“ (S. 73). Der aus Aufklärungsphilosophie und Industriezeitalter überkommene Anspruch auf Naturbeherrschung lässt engagierte Kunst über ihre eigenen Füße stolpern.

3) Regeneration. Lange Zeit sind es nur vereinzelte Visionäre, die auf eine nicht-herrschaftliche Einheit mit der Natur zielen. Ihre Wahlverwandtschaft mit Ansätzen im Anarchismus ist wiederum kein Zufall. Da ist beispielsweise John Cage (1912-1992). Er ist Vordenker eines ökologisch erweiterten Kunstbegriffs und entwirft diesen in historischem Rückbezug auf Henry David Thoreau (1817-1862). Dieser hatte 1854 in Walden oder Leben in den Wäldern das Modell eines libertären Naturbezugs formuliert. Da ist Friedensreich Hundertwasser (1928-2000), der vegetative Malerei mit ökologischen Aufrufen verbindet. Seit 1970 propagiert er einen Friedensvertrag mit der Natur, in dem er ein von Demut getragenes, wiedergutmachendes Einfügen in die Abläufe unserer Mitwelt projektiert. Ein Konzept, das auch vom anarchistischen Wissenschaftsphilosophen Paul Feyerabend (1924-1994) geteilt wird. Wie Natur in diesem Sinne rekonstruiert und neu geschaffen werden kann, zeigt Hundertwasser in seinem landschaftlichen Werk. Auf dem Weg direkter Aktion legt er in den 1950er bis 1970er Jahren insgesamt drei großflächig-selbstgenügsame Biotope an. Deren größtes ist Kaurinui Valley an der Nordspitze Neuseelands. Es umfasst 400 Hektar mit einer Vegetation von 100.000 Bäumen aller Kontinente. „Kaurinui Valley ist einer der beeindruckendsten Orte, den die moderne und zeitgenössische Kunst hervorgebracht hat. Er kann sich mit den größten Realisierungen der amerikanischen Land Art messen, vermeidet allerdings deren systematische Zerstörung von Biotopen und schafft im Gegenteil einen Mini-Amazonas, der eine reparierende Funktion im globalen Klimazusammenhang hat“ (S. 103). Und da ist Joseph Beuys (1921-1986). Er ist einer der ersten, die über Zeichnungen und Objektanordnungen auch die Tierwelt in bildende Kunst mit einbeziehen. Sein vielleicht populärster Beitrag zur Regeneration der Biosphäre startet 1982 auf der documenta 7 in Kassel mit der großangelegten Pflanzaktion 7.000 Eichen. Eine steinerne Halde von ebenso vielen Basaltblöcken verdeutlicht als vergängliche Skulptur das Waldsterben und die Gefährdung des Planeten. Neben jedem gepflanzten Baum wird einer dieser amorphen Stelen aufgestellt. Noch heute säumen die Beuys-Eichen mit ihren jeweiligen „Begleitern“ die Alleen Kassels, aber auch vieler anderer Städte. Sie sind „[…]  eines der ersten explizit ökologischen Denkmäler unserer Epoche“ (S. 99).

Straßenszene in Duisburg (September 2023); Foto: Henning-Hellmich

4) Strategien. Unaufschiebbarkeit ist das Grundgefühl der Gegenwart. Die Kunst antwortet mit einem mehrdimensionalen Naturbezug. Er versteht sich zum einen als Warnung: Symbolische und zugleich direkt erfahrbare Setzungen imaginieren den Weltkollaps, wobei künstlerische Qualitäten wie Phantasie, Einfühlungskraft, Bildwitz und Selbstironie die Klischees der Medien- und Internetsphäre unterlaufen. Zum zweiten vollzieht sich der neue Naturbezug als Training: Schon im Prozess des Schaffens antizipiert die junge Generation ökologische Zielvorgaben und Selbstverpflichtungen. Möglichkeiten, Ideen und Ausdrucksformen künstlerischen Tuns korrespondieren mit einem soziologisch verstandenen Ökologiebegriff, „[…] in dessen Rahmen jeder Bereich als Biotop betrachtet wird, in dem alles mit allem zusammenhängt“ (S. 39). Nicht allein die gesundheitlichen Auswirkungen eingesetzter Materialien werden in den Blick genommen. Fokussiert wird generell auf Ressourcenverbrauch, auf ökonomische Strukturen, auf juristische Auslegungen und auf Zirkulationsweisen fertiger Objekte. Kunst als integrales Engagement zielt auf den gesellschaftlichen Raum, will nicht nur die kreativ Schaffenden, sondern auch ihre Institutionen und das Publikum zu Nachhaltigkeit befähigen. Zum dritten kann ein zeitgemäßer Naturbezug ebenso aus künstlerischem Tun schöpfen, das jenseits aller Funktionalisierung nur um seiner selbst willen vollzogen wird. In einer Epoche, in der das Verhältnis zum Planeten längst zur Überlebensfrage geworden ist, mag das paradox erscheinen. Letztlich ist es eine Frage von Haltung und innerer Souveränität: „Sich nicht durch Geschrei, das jeden Zeitgeist und das Kunstgeschehen wie alle anderen Bereiche des Lebens kennzeichnet, dabei stören zu lassen, auf das Material zu horchen, mit dem man umgeht, auf die eigene Formensprache, die sich bisweilen scheinbar zufällig ergab, ihrer Weiterentwicklung – und dies in einer notwendigen Sensibilität zu allem Grundlegenden, was umgeht in der Welt“ (S. 150). Derart gelagert ist es Kunst auch ohne innere oder äußere Vorschreibung möglich, Wirkungsvolles zu leisten.

All dies und noch viel mehr macht uns Robert Fleck durch eine Vielzahl praktischer Beispiele anschaulich. Seine Problemgeschichte der künstlerischen Naturbezüge ist eine wichtige Handreichung. Sie bietet Orientierung in einer verletzlichen Welt und weist Wege zum Wiederanschluss an die Natur. Vor allem macht sie neugierig und zuversichtlich. Das ist das Schönste, was ein Buch erreichen kann. Zumal, wenn es so prachtvoll gestaltet ist wie Kunst und Ökologie. Wir wünschen ihm weite Verbreitung und viel Erfolg.