Universelle Solidarität, ökologische Leitplanken und Klimawende von unten

Angela und Jens Hanson: EXIT-Strategie Klimawährung ECO. Mit persönlichen Emissionsbudgets das Klimaziel erreichen, München: oekom verlag, 2023, ISBN 978-3-98726-013-1, 180 Seiten, 24,00 € (Open Access im PDF-Format)

Rezension von Markus Henning

Im Wohlstandsmodell des globalen Nordens greifen wirtschaftlicher Wachstumszwang, toxische Energiepolitik und eine Abwälzung sozialer wie ökologischer Folgekosten auf verheerende Art ineinander. Seine Routinen von Produktion, Konsum und Lebensführung basieren auf der Verbrennung fossiler Energieträger. Das sprengt die planetaren Regenerationsgrenzen und heizt den Klimawandel an, unter dem schon jetzt diejenigen Weltgegenden am meisten zu leiden haben, die am wenigsten für ihn verantwortlich sind. Während die geopolitisch dominanten Wirtschaftsräume einen überproportional hohen Anteil an Ressourcen-Raubbau und Erderwärmung haben – das reichste Zehntel der Weltbevölkerung verursacht etwa die Hälfte aller globalen Treibhausgasemissionen –, werden von den Auswirkungen mit besonderer Härte nichtweiße Menschen im globalen Süden getroffen, die historisch und aktuell ohnehin zu den besonders benachteiligten und verletzlichen Gesellschaftsgruppen gehören: Black, Indigenous and People of Color (BIPoC).

Die Weltoffenheit sozial-ökologischer Zukunftsentwürfe bemisst sich daher ganz wesentlich am Universalismus der Menschenrechte. Unter diesem Leitbild und angesichts der Dringlichkeit, endlich ins Handeln zu kommen, haben Angela und Jens Hanson im Jahr 2020 die zivilgesellschaftliche Klimaschutz-Organisation SaveClimate.Earth e.V. gegründet.

Mit EXIT-Strategie Klimawährung ECO präsentieren sie jetzt in Buchform ihren systemischen Ansatz einer Verbindung von Allmende-Bewirtschaftung, ökologischer Marktwirtschaft und globaler Emissionsgerechtigkeit.

Grundlegend dabei ist die ökonomische Klassifizierung der Klimakrise als Übernutzungsproblem eines öffentliches Gutes. In ihrer Ressourcenfunktion als Kohlenstoffsenke zeichnet sich die Erdatmosphäre durch freie Verfügbarkeit aus, bleibt in ihrer Aufnahmekapazität jedoch begrenzt. Da der diesbezügliche ökologische Kredit nahezu aufgebraucht ist, muss die Weltgemeinschaft zum Erhalt der Lebensbedingungen Wege finden, den CO2-Ausstoß schnell und effektiv zu kontingentieren. Zugleich – auf diesen egalitären Aspekt verweisen die beiden Autor:innen mit besonderem Nachdruck – ist die Erdatmosphäre das gemeinschaftliche Eigentum der gesamten Menschheit. Im Sinne eines gerechten, solidarischen und kooperativen Neuanfangs steht daher jedem menschlichen Individuum auf diesem Planeten ein gleichrangiges Recht auf ein fair rationiertes, ökologisch verträgliches Emissionsquantum zu.

Die Höhe dieser persönlichen CO2-Kontingente bemisst sich im Zeitverlauf nach der jeweiligen Kopfzahl der Weltbevölkerung und dem noch verbleibenden Gesamtemissionsbudget. Letzteres wiederum hängt ab von der bereits in die Atmosphäre gelangten CO2-Menge und dem angestrebten Klimaziel, das seit der UN-Klimakonferenz 2015 darin besteht, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen (gerechnet vom Beginn der Industrialisierung bis zum Jahr 2100). Um dieses Ziel auch nur annähernd erreichen zu können – so die Berechnungen des Weltklimarates –, steht aktuell jeder Person ein durchschnittlicher CO2-Ausstoß von 2 Tonnen pro Jahr zu. Allein in Deutschland, das in der Weltrangliste der größten Pro-Kopf-Emittenten den 10. Platz einnimmt, ist hierfür der durchschnittliche CO2-Verbrauch über alle Lebensbereiche hinweg um ca. 80 Prozent zu reduzieren.

„Unsere Wirtschaft muss regionaler werden, ungiftiger, ressourcenschonender. Wir brauchen Produkte, die möglichst lange ihren Dienst tun und sich anschließend reparieren und letztlich recyceln lassen. Und wir brauchen neue Technologien, die echte Kreislauf-Produktion und die flächendeckende Umstellung auf grüne Energie ermöglichen. All dies erreicht man nicht durch Lifestyle-Debatten und kleinteilige, bürokratische Gesetzgebung bis in die letzten Winkel des Produktionsprozesses hinein, sondern durch ein System, welches die Hersteller intrinsisch zu einem solchen Wandel motiviert“ (S. 77 f.)

Um eine entsprechende Dynamik zielführend in Gang zu setzen, projektieren Angela und Jens Hanson die transnationale Einführung der Klimawährung ECO (Earth Carbon Obligation). Als komplementäre Ressourcenwährung soll ECO die Bepreisung und Rationierung des CO2-Konsums vom Geldsystem abkoppeln und als Leitplankengerüst eines garantierten Reduktionspfades wirken.

Vorreiter einer globalen Ressourcen-Währungsunion (RWU) könnten die „EU, plus einer Allianz der Willigen [sein]“ (S. 19). Mit ECO böte sich ihnen ein Markt-Koordinationselement, das die Problematik des Klimawandels verursachergerecht angeht, nachhaltige Herstellungs- und Konsumweisen fördert und zugleich das Wohlstandsgefälle zwischen Arm und Reich verringern kann.

Globaler Klimastreik in Frankfurt/M. am 29.11.2019; Foto: Henning-Hellmich

1) ECO-Preisbildung. Zukünftig wird jede Ware und jede Dienstleistung zweifach ausgepreist. Die monetären Aspekte ihrer Produktion und Bereitstellung (Kapitaleinsatz-, Rohstoff- und Arbeitskosten, zzgl. Handelsspanne) werden wie bisher vom Geldpreis in der jeweiligen Landeswährung (z.B. in Euro) abgebildet. Der ergänzend hinzutretende ECO-Klimapreis bemisst alle ökologischen Kosten, die entlang derselben Wertschöpfungskette anfallen, in CO2-Äqivalenten. Während einer ersten Einschwingphase hat die Grundlagenindustrie nach wissenschaftlich definierten Zertifikationsverfahren ihre ECO-Preise zu bestimmen und an nachgelagerte Prozessstufen weiterzuleiten. Da auch diese ihre verauslagten ECO-Fixkosten durchreichen, erhalten sukzessive alle Produkte ein separates Emissions-Preisschild.

2) Ökologisches Grundeinkommen in ECO. Ab einem festgesetzten Stichtag wird allen natürlichen Personen ein monatliches ECO-Budget ausgezahlt. Die Summe aller persönlichen Budgets entspricht dem vereinbarten Gesamtemissionsziel und kann zyklisch an dessen Nachjustierung angepasst werden. Aktuell ergäbe sich folgende Berechnung: „2 Tonnen CO2-Emissionen pro Person/Jahr entspricht 166 kg CO2-Emissionen pro Person/Monat. – Zur besseren numerischen Handhabbarkeit wurde festgelegt: 1 kg CO2-Emissionen ≙ 10 ECO. – Folglich ergibt sich eine monatliche Überweisung der Klimabank in Höhe von 1.660 ECO pro Person/Monat auf die persönlichen Klimakonten. Dies ist das für alle Bürger gleiche, kostenlose ökologische Grundeinkommen“ (S. 97 f.). Von nun an ist beim Kauf von Waren und Dienstleistungen nicht nur deren Geldpreis (in der jeweiligen Landeswährung), sondern zusätzlich immer auch deren Klimapreis (in der Ressourcenwährung ECO) zu bezahlen.

3) ECO-Kreislauf. In entgegengesetzter Richtung zur Emissions-Preisbildung fließt der ECO-Zahlungsstrom: Von den Konsumenten über die einzelnen Prozessstufen der Wertschöpfungskette bis hin zu den Ressourcenquellen. Die an den Quellen tätigen Firmen nehmen dadurch alle ECO-Beträge wieder ein, die ihnen für die Extraktionserlaubnis von der Klimabank vorab in Rechnung gestellt wurden. Hier, bei den Förderunternehmen – also „am Flaschenhals des Systems“ (S. 125) –, befindet sich die einzige Stelle, an welcher der geschlossene Kreislauf einer administrativen Einflussnahme bedarf: Die öffentliche Hand kontrolliert die abgestimmten Fördermengen von Kohle, Öl, Gas und überwacht deren korrekte Verrechnung in ECO. Da ihnen grundsätzlich kein eigenes CO2-Budget zugeteilt wird, erhalten Unternehmen bei der Klimabank auch keine Guthaben-, sondern lediglich Verrechnungskonten für durchlaufende ECO-Posten.

4) Persönlicher ECO-Handel. Ebenfalls ausgeschlossen sind Unternehmen von Transaktionen an der Klimabörse. Auf dieser supranationalen Plattform steht es ausschließlich natürlichen Personen frei, unverbrauchte ECO-Kontingente gegen Geld zu handeln. Um Spekulation zu verhindern, werden hinzugekaufte ECOs elektronisch markiert und dürfen nur für Konsumzwecke verwandt werden. Die Komplementärwährung ist inflationssicher und unterliegt keinem Zinseffekt. Der Klimabörsen-Handel lässt die Gesamtsumme aller ECO-Guthaben unberührt, ermöglicht jedoch einen monetären Wohlstandstransfer von Hoch- zu Niedrigemittenten. „Industrieländer erhalten […] kein höheres Emissionskontingent – deren Bürger müssen zukaufen. Einwohner ärmerer Länder profitieren dadurch vom Verkauf ihrer überschüssigen Kontingente, was einen gewissen Ausgleich für deren historisch niedrigen Beitrag, bei gleichzeitiger überproportionaler Betroffenheit von den Auswirkungen der Klimaveränderungen darstellt“ (S. 106 f.; Hervorhebung im Original).

5) ECO-Grenzausgleichmechanismen. Ihren Außenhandel mit dem Rest der Welt passt die Ressourcen-Währungsunion (RWU) konsequent an das ECO-System an. Jede Wareneinfuhr unterliegt einem Zertifikationsverfahren, das ihren CO2-Anteil bestimmt. Den entsprechenden ECO-Betrag haben die Importeure direkt an die Klimabank abzuführen. Spiegelbildlich erstattet die Klimabank den Exporteuren die ECO-Preise für auszuführende Waren. Deren externe Käufer haben einen monetären CO2-Zoll zu entrichten, der sich nach dem aktuellen ECO-Tageskurs an der Klimabörse berechnet. Mit diesem Schnittstellenmanagement überschreitet die RWU selbst durch Import- und Exportgeschäfte niemals ihr festgelegtes CO2-Budget und stößt zudem ein ökologisches Fortschreiten in anderen Wirtschaftsräumen an. „Denn Staaten, die sich einer solchen RWU bisher noch verweigern, hätten Handelsnachteile zu realisieren, wenn sie ihre Produktionsprozesse nicht auch klimaneutraler ausrichten würden. Diese Reziprozität würde somit bewirken, dass solche Länder ebenfalls bald ‚mit von der Partei‘ sein wollten“ (S. 110).

Globaler Klimastreik in Frankfurt/M. am 23.09.2022; Foto: Henning-Hellmich

Angela und Jens Hanson denken strukturkreativ in globalen Zusammenhängen. Das von ihnen entworfene Aktionskonzept will nationalstaatliche Egoismen durch gesellschaftliche Verantwortungsübernahme und transnationale Kooperation ersetzen. Die egalitäre Verteilung von Emissionsbudgets – nach dem Motto „Cap, Personalize and Trade“ („Begrenzen, Personalisieren und Handeln“) – würde das Steuerungspotential für Klimaschutz komplett in die Hände der Verbraucher, also der kleinsten Einheiten am Markt, legen. Die systemische Präferierung möglichst CO2-armer Produkte und der daraus entstehende Transformationsdruck brächten Energiewirtschaft, Industrie und Gewerbe auf umweltverträglichere Gleise. Auf dem Weg in eine klimagerechte Zukunft kann die komplementäre Ressourcenwährung ECO als echter Meilenstein fungieren.

Ihre Potentiale sollten auch von der Freiwirtschaft erwogen werden. Ein interessanter Dialog ist zu erwarten. Gelingende Sozialreform basiert immer auch auf der Öffnung diskursiver Möglichkeitsräume, in denen sich vielfältige Ansätze begegnen, austauschen und im besten Fall kombinieren.

In einer Zeit, in der Gegenwärtiges sich auflöst und nicht mehr ins Morgen trägt, brauchen wir Bücher wie EXIT-Strategie Klimawährung ECO.