Henning Venske: Summa Summarum. Ultimative satirische Abrechnungen, gemein aber nicht unhöflich, mit Zeichnungen von Ulf Krüger, Frankfurt am Main: Westend Verlag, 2019, ISBN 978-3-86489-245-5, 480 Seiten
Rezension von Markus Henning

Für Henning Venske steht fest: Politisch-literarisches Kabarett muss subversiv sein. Mitgefühl für die Schwachen, Hungernden, Ausgebeuteten und Unterdrückten. Empörung über ihr Leid. Wut auf jene, die das Elend verursachen. Sehnsucht nach Befreiung. Das sind Antriebskräfte der ultimativen satirischen Abrechnungen, die Venske zu seinem 80. Geburtstag vorlegt. Da ist von Altersmilde keine Spur. Das ist hellwach. Das verortet sich selbst irgendwo zwischen Heinrich Heine, Oscar Wilde, Erich Mühsam und Theodor Plievier: „Eine Regierung ist der überflüssigste Teil der Bevölkerung…“ (S. 147).
Das Lachen bleibt im Halse stecken. Zu klar ist das Bewusstsein für den Ernst der Lage, mit dem die Lächerlichkeit der verantwortlich Handelnden vorgeführt wird. Um ihre privaten Glücksbestrebungen als Gemeinwohl durchzusetzen, organisieren sie sich in politischen Parteien. Sie werden Parlamentarier und machen für die Lobbyisten aus Industrie, Finanzen und Verwaltung den „Grüßaugust“ (S. 132). In der Parteiendemokratie ist die Herrschaft des Volkes immer schon verreckt, bevor sie jemals begonnen hat. Es geht nur um „marktkonforme“ Verwaltung, nie um grundsätzliche Infragestellung.
Das Mantra der Herrschaft heißt „Alternativlosigkeit“. Seine Drogen sind Konsum und Geld. „Der Haupteingang der Deutschen Bank war lange Zeit ein nächtlicher Treffpunkt der Heroin-Junkies. Da wuchs dann zusammen, was zusammen gehört…“ (S. 196). Allerdings kann das jederzeit auch wieder auseinanderbrechen. Wenn diejenigen in Rage geraten, denen die Würde ihres Autos wichtiger ist als ihr Freiheitsrecht. Junkies ebenso wie Muslime und Flüchtlinge, Hartz IV-Empfänger, Obdachlose und sonstige Randgruppen sind potentielle Hassobjekte verunsicherter Eigentumsfetischisten. Die Fratzen der Rechtspopulisten schauen um die Ecke.
Nach unten treten, nach oben buckeln und auf keinen Fall aus dem Hamsterrad fallen! Das ist der Sinn der Arbeitsethik und ihrer „fanatischen Lobredner […] von Luther über Hitler bis zu den Gründern von ‚Arbeiter- und Bauernstaaten‘“ (S. 40). Heute kulminiert der Wahn in Gestalt neoliberaler Selbstvermarktung. Ein „idiotisches Wachstumsdenken“ (S. 43) fährt den Homo Sapiens mit ungekannter Effizienz an die Wand. Burn-Out, wohin man schaut: Neurosen und Gemütsdefekte, Sadismus, Gewalt, Hunger, Kriege, Klimaerwärmung und Artensterben.
Der Geisterzug muss gestoppt werden! Wodurch? Durch den Entschluss zu produktivem Müßiggang! Er öffnet Freiheitsräume jenseits von Ausbeutung und Herrschaft. „Nur Menschen, die ihren Lebenssinn außerhalb der Arbeit suchen, sind Wegbereiter einer lebenswerten Gesellschaft. Der Begriff ‚Arbeitsplatz‘ muss neu definiert werden als Ort geistigen und körperlichen Wohlbehagens. Das neue Wort für Arbeitsplatz könnte zum Beispiel lauten: Ohrensessel.“ (S. 44) Es geht um die Abkehr von einer dem Wachstum verpflichteten Arbeit. Diese Befreiung untergräbt die Zwanghaftigkeit des Soziallebens – „die Beseitigung jeglichen Zwangs bedeutet: Anarchie.“ (S. 433)
Hut ab, Herr Venske! Und alles Gute zum Geburtstag!
(Diese Rezension wurde erstmals veröffentlicht in: graswurzelrevolution, Nr. 440 – Sommer 2019, S. 21)