Hans Holzinger: Wirtschaftswende. Transformationsansätze und neue ökonomische Konzepte im Vergleich, München: oekom verlag, 2024, ISBN 978-3-98726-102-2, 416 Seiten, 24,00 €
Rezension von Markus Henning
Zeiten des Übergangs brauchen die Kraft utopischer Entwürfe. Sie brauchen Zukunftsbilder, die schon heute zur Vorwegnahme anstiften und Menschen zu Subjekten der Emanzipation machen. Wenn die Erde bewohnbar bleiben und trotzdem allen ein gutes Leben gesichert werden soll, sind grundlegende Veränderungen unabdingbar. Strukturelles Einmischen muss zum Lernfeld der Selbstwirksamkeit werden.
Ein entsprechender Diskursraum wird jetzt weit geöffnet von Hans Holzinger (geb. 1957). Er ist Wirtschafts- und Sozialgeograph, war außerdem über drei Jahrzehnte Mitarbeiter der in Salzburg ansässigen Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen. Sein aktuelles Buch ist im oekom verlag erschienen und trägt den Titel Wirtschaftswende. Transformationsansätze und neue ökonomische Konzepte im Vergleich.
Darin begegnet uns Hans Holzinger gleichermaßen als Autor des Engagements wie der Reflektion. Sein Herz schlägt für die Alternativökonomie und das Spektrum ihrer Modellierungen. Ob es sich um vorgelebte Praktiken in Einzelbereichen handelt (Konsum; Landwirtschaft; Energie; Mobilität etc.), um institutionelle Reformen (Kommunalrecht; Unternehmensverfassung; Finanzen; Steuern etc.) oder um das Ausgreifen auf die Makroebene (Postwachstumsökonomie und Selbstbegrenzung; Postkapitalismus etc.): Aus der Vielfalt der Ansätze kann mehr entstehen als die Summe ihrer Teile. Vorausgesetzt, sie gehen den Wandel zur Nachhaltigkeit systemisch an. Ist dieses Auswahlkriterium gegeben, wägt Holzinger in jedem Einzelfall Stärken und Schwächen, Vorteile und Nachteile gewissenhaft ab. Und das über insgesamt 26 Kapitel. Die Eigenständigkeit seines Urteilens verweist auf umfassende Kenntnisse. Und sie verweist auf einen Pragmatismus, dem es um plausible Handlungsoptionen geht und nicht um Verabsolutierung.
Die Synthese seiner Deutungs- und Sinnangebote umreißt Holzinger als „Moderne Bedarfsökonomie in einer offenen Gesellschaft“ (S. 358). Gemeint ist ein qualitativ neuer Entwicklungspfad, der Lösungen bieten könnte für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts: Herstellung von Klimaneutralität, Regeneration der Ökosysteme, Wirtschaften in Kreisläufen, soziale Gerechtigkeit und Daseinsvorsorge für alle. Der Aufbruch dorthin würde Umsteuerungen auf sämtlichen Ebenen und in allen Sektoren beinhalten. „Dafür wären Allianzen aus Nichtregierungsorganisationen, innovativen, nachhaltigen Unternehmen, erneuerten Gewerkschaften und für den Wandel offenen Vertreter*innen aus der Politik zu schmieden. Auch Vermögende können für die Transformation gewonnen werden, wie die Initiative ‚Tax me now‘ oder aufgeschlossene, emanzipatorische Stiftungen zeigen […]“ (S. 359 f.).
Strukturkreativ, wie Holzingers Positionen sind, bieten sie ebenfalls Anknüpfungspunkte für die Freiwirtschaftsbewegung. Diese sollte die Möglichkeit zum Dialog wahrnehmen und sich inspirieren lassen. Nur mit offenem Blick für die Pluralität der anstehenden Wandlungen lassen sich eigene Engführungen überwinden.
1) Ressourcen und Tauschmittel. Elemente der freiwirtschaftlichen Geld- und Bodenreform diskutiert Holzinger an verschiedenen Stellen. Tragfähigkeit attestiert er insbesondere dem Freiland-Konzept. Entkapitalisierung sowie pächtersozialistische Bewirtschaftung von Boden und Naturressourcen sind dessen Grundgedanken. Sie hallen in dem Methodenmix wider, mit dem bereits erste Gemeinden versuchen, der Bodenspekulation Einhalt zu gebieten (Trennung von Eigentum und Nutzung; Baulandsicherung und Flächenvorratspolitik; Kommunalisierung von Arealen mit anschließender Konzeptvergabe, z.B. nach dem Erbbaurecht; Besteuerung von Wertzuwächsen der in privater Hand verbleibenden Grundstücke etc.). Die zweite Säule der Freiwirtschaftslehre ist das Freigeld: Eine periodisch anfallende Gebühr soll das allgemeine Tauschmittel unter Umlaufzwang setzen, so den nichthortbaren Waren gleichstellen und effektiv mengensteuerbar machen. Vermittelt über marktwirtschaftliche Prozesse würden sich im Ergebnis die durchschnittlichen Kreditzinsen auf einen Satz von 0% einpendeln. Über die Praxis von Regionalgeldern, Zeitbanken und Tauschringen hat dieser Gedanke mittlerweile auch in der Transformationstheorie Nachklang gefunden. Seine Öko-Potentiale betont z.B. die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth (geb. 1970): „Eine solche Liegegebühr für Geld könnte langfristige Investitionen in regenerative Energien oder Wiederaufforstungsprojekte fördern, da das Streben nach Gewinn durch das Bestreben nach Werterhaltung abgelöst würde“ (S. 298). Hans Holzinger bezweifelt allerdings, dass die Freiland/Freigeld-Bestrebungen strukturell hinreichend sind für die Begründung einer „egalitären nachkapitalistisch-bürgerlichen Marktgesellschaft“ (Werner Onken, zit. in: S. 324). Ausbeutung, Wachstumszwang, Vermögens- und Machtkonzentrationen wurzeln nicht ausschließlich im Zinssystem. So wünschenswert die Freiwirtschaft ist, so wenig kann sie sich selbst genügen. Um emanzipatorischen Ansprüchen gerecht zu werden, ist sie eingeladen, über sich hinauswachsen. Auch die Konkurrenz-, Entfremdungs- und Herrschaftsstrukturen des Kapitalismus müssen zum Gegenstand der Analyse werden.
2) Gebrauchswert und Kooperation. Der Stoffwechsel mit der Natur wäre als Gestaltungsfeld sozialer Beziehungen wiederzuentdecken. Das Sorgen füreinander und für die Mitwelt kann Gemeinschaft, Verbundensein und kollektives Lernen stiften. Wie dieses Potential den Funktionslogiken von Markt und Staat zum Opfer fiel, rekonstruiert die Subsistenzforschung. Eine ihrer bedeutendsten Vertreterinnen ist Veronika Bennholdt-Thomsen (geb. 1944). Sie plädiert für den schrittweisen Ausbau von Selbstversorgungsstrukturen (Eigenarbeit; Commons; Gemeinschaftsgärten; Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaften; Sharing-Systeme etc.). Derartige Kooperationsformate innerhalb einer pluralen Ökonomie interpretiert Bennholdt-Thomsen als „Maßnahme[n] der Selbstverteidigung gegenüber dem totalitaristischen Mechanismus des Warensystems“ (zit. in: S. 308). Statt kommerzieller Verwertbarkeit steht der Gebrauchswert von Gütern im Mittelpunkt. Das wiederum kann als Vorschule begriffen werden für eine Kultur der Genügsamkeit und des ressourcenschonenden Schließens von Energie- und Materialkreisläufen (Öko-Produktdesign; Instandhaltung; Reparatur; Wiederverwendung; Recyling etc.). So hebt auch Hans Holzinger hervor, dass regenerative Produktions- und Konsumweisen nicht zuletzt auf der Freundschaft zu den Dingen beruhen, die uns umgeben: „Wirtschaften müsste daher wieder stärker in den Nahraum der Menschen verlagert werden – eine Re-Regionalisierung würde nicht nur die Resilienz erhöhen, sondern auch die Beziehung zwischen den Wirtschaftsakteur*innen“ (S. 361 f.).
3) Dezentralisierung und Basisdemokratie. Leben und Wirtschaften vollziehen sich immer in physischen Räumen. Deren Neuordnung nach den Ökosystem-Mustern von Selbstorganisation und Diversität kommt die Nachhaltigkeitstechnologie entgegen (Präzisionslandwirtschaft; Biokraftwerke; Windräder; Photovoltaik; Open-Source-Internet etc.). Ernährungs- und Energiesouveränität könnte die Strukturgrundlage bilden für einen Abbau von Zentralismus und Großorganisationen. Der Weg dorthin ist über eine Demokratisierung der Demokratie zu bahnen. Erste Schritte hätten die Finanzhoheit der Kommunen und das Prinzip der Subsidiarität zu stärken. „Nicht zuletzt brauchen wir neue Beteiligungsformate wie Bürger*innen-Räte und Zukunftswerkstätten sowie Bürgerentscheide, die zur Qualität der öffentlichen Diskurse beitragen“ (S. 361). Erweiterte Partizipationsrechte in der Arbeitswelt werden z.B. vom Gemeinwohl-Aktivisten Christian Felber (geb. 1972) modelliert: „Am weitesten gehen die Abschaffung von börsennotierten Unternehmen, die Begrenzung des Eigentums durch eine mit der Größe des Unternehmens wachsende Mitsprache der Belegschaften sowie die Relativierung des Erbrechts – die Führung von Unternehmen soll von Belegschaften gewählt werden, was einen großen Sprung in der Wirtschaftsdemokratie bedeuten würde“ (S. 331). Der Artenreichtum der Ökonomie würde zukünftig getragen von kleinen und mittleren Unternehmen, von Kooperativen und Genossenschaften, von öffentlichen und kommunalen Betrieben der Daseinsvorsorge. Zu den Möglichkeiten föderalistischen Neuaufbaus referiert Holzinger den Schweizer Autor P.M. (d.i. Hans Widmer; geb. 1947): „Die kleinsten Einheiten, sogenannte Life Maintenance Organisations, umfassen Nachbarschaften von etwa 500 Personen, in denen das Wohnen organisiert wird. In Basisgemeinden von bis zu 20.000 Personen werden Schulen, Gesundheitsdienste sowie die lokale Energieversorgung realisiert. In den darüber liegenden agro-urbanen Regionen, den derzeitigen Stadt-Umland-Regionen vergleichbar, wird der Großteil der Lebensmittelversorgung sowie der Güter des alltäglichen Bedarfs organisiert. Industrieprodukte würden in den Großregionen produziert, Wissen, Kultur, Medikamente und so weiter global geteilt“ (S. 232).
Wirtschaftswende von Hans Holzinger bietet das Beste, was ein Kompendium des Wandels leisten kann. Es bündelt unterschiedliche Sichtweisen und hilft uns, eigene Standpunkte zu hinterfragen. Für den gemeinsamen Aufbruch in eine postfossile Zukunft ist das unentbehrlich. Wir wünschen diesem Buch weite Verbreitung und ein begeisterungsfähiges Publikum.